Der Moment, in dem man nicht mehr ausweicht
Es gibt Zeiten im Leben, da läuft man weiter, obwohl längst nichts mehr geht. Man tut, was man immer getan hat: durchhalten, funktionieren, weitermachen. Und gleichzeitig spürt man innerlich, dass etwas kippt. Nicht mit einem lauten Schlag, sondern leise, schleichend, über Wochen und Monate.
So war es bei mir.
Mein Körper hat mir schon lange gesagt, dass das nicht mehr funktioniert: eine Erschöpfung, wie ich sie noch nie gekannt hatte, Nächte voller Schlaflosigkeit, ein dauernder Angstzustand, der sich anfühlte, als würde jemand die Luft ein bisschen enger drehen. Nichts davon kam plötzlich. Es hat sich aufgebaut – Schicht für Schicht – und ich habe alles wegdrückt, weil ich glaubte, genau das tun zu müssen.
Ich dachte immer, ich müsste alles alleine schaffen. Dieses „alles selber tragen“ hatte ich früh gelernt. Hilfe holen kam für mich erst infrage, wenn es fast schon zu spät war. Also bin ich weitergelaufen, obwohl in mir längst alles „Stopp“ geschrien hat.
Ich habe mir eingeredet: „Das wird schon wieder.“
Noch ein bisschen ausruhen. Noch ein bisschen zusammenreißen. Noch ein bisschen durchhalten.
Aber irgendwann war dieser Punkt erreicht, an dem das Wegdrücken nicht mehr funktioniert hat. Da saß ich da – richtig da – und zum ersten Mal seit langem habe ich mir die Frage gestellt, die ich vorher nie zulassen wollte:
„Wie geht es mir wirklich?“
Und als diese Frage endlich da war, war sie wie ein Lichtkegel.
Alles wurde klar. Glasklar.
Ich habe gesehen, dass es so nicht mehr weitergehen kann. Dass das, was ich „Ausdauer“ genannt habe, eigentlich Selbstüberforderung war. Und ich habe gespürt, dass ich nicht mehr kämpfen muss. Ich darf Hilfe holen. Ich darf zu Hause bleiben, ohne schlechtes Gewissen. Ich darf ehrlich sein – vor allem zu mir selbst.
Es war eine schwere Erkenntnis. Aber es war gleichzeitig eine Erleichterung.
Nicht, weil es plötzlich besser wurde. Sondern weil ich aufgehört habe, gegen die Wirklichkeit anzukämpfen.
Die Frage „Wie geht es mir wirklich?“ taucht nicht zufällig auf.
Man stellt sie sich, wenn der innere Druck so groß wird, dass Verdrängen nicht mehr hält.
Und genau dann beginnt etwas Neues: Ehrlichkeit. Klarheit. Ein erster Schritt raus aus dem bloßen Funktionieren.